Gestern war ich ganz legal unterwegs |
Gestern war der Tag, an dem
sich Cara von ihrer Kastanie trennen musste. Für alle, die es vergessen haben,
sie gehört der Kastanienbewegung an und zum Frühjahrsbeginn trennt man sich von
dieser treuen Begleiterin, die über die Wintermonate immer in der Manteltasche
mitwanderte.
Also ging ich mit Cara zum Kanal.
Sie holte schon aus, um die Kastanie mit Schwung ins Wasser zu werfen. Es blieb
mir gerade noch Zeit, stopp zu rufen. „Schau doch, dass da keine Enten entlang
schwimmen und sich erschrecken!“ Ich muss aber auch auf alles aufpassen. Nach
dem Wurf drehte ich mich abrupt um und musste darüber nachdenken, was wohl nun
mit der Kastanie passierte. Wie würde es ihr gehen in dem noch recht kühlen
Wasser? Würde sie vor Kälte noch mehr schrumpeln oder gar aufplatzen und in ihre Einzelteile zerfallen? Würde ein Tier
kommen und sie fressen? Es machte mich traurig, weil ich es nicht wusste. Mein Bruder wusste es auch nicht, sagte aber,
ich sei ein Sentimentalist. Dann blickte er wieder konzentriert in seine Kochbücher.
Cara sah
mich nachdenklich an und meinte: „Zottel, du denkst zu viel!“, setzte mich
sanft in ihre rosa Tasche, die sie immer im Frühling und Sommer nimmt. Das hat
sie noch nie gemacht, mich da hineingesetzt. Normalerweise muss ich mich
hineinschmuggeln. Dann ging es los, ab zur U-Bahn-Station. Wir fuhren die Isestraße
entlang und sie zeigte mir all die Kastanienbäume. „So, Zottel, und solche
Fahrten unternehmen wir jetzt häufiger. Dann kannst du sehen, wie schön sie
bald blühen.“ Als ob ich das nicht wüsste. Nur gestern war überhaupt noch
nichts zu sehen. Doch sie plauderte unbeirrt weiter: „Danach bilden sich dann aus den
Blüten die Früchte und – ach, die Zeit vergeht ja immer so schnell – die fallen dann mir nichts, dir nichts reif vom
Baum, platzen auf und heraus kommen wieder wunderschöne Kastanien.“ Das sollte mich wohl trösten. Um mir diese
U-Bahn-Fahrten noch schmackhafter zu machen, sagte sie: „Zwischendurch
legen wir auch mal einen Halt ein und du kannst Ludwig besuchen. Der sitzt nämlich immer noch einsam in dem Geschäft. Und ich kann mir dort eine neue Gießkanne für
meinen Balkon kaufen, denn die alte leckt.“ „Oh“, sagte ich, „die schöne
gelb-grüne Gießkanne ist kaputt? Wie schade!“ – „Ja, die muss man jetzt
entsorgen.“ – „Nein, die wird nicht
entsorgt!“, entfuhr es mir. „Nicht immer diese Abschiede! Die wird mit Erde
befüllt und dann kann man da ein paar fröhliche rote oder orangefarbene Pflanzen
hineinsetzen.“
Diese Kanne wird nicht weggeworfen! |
Ich muss mich aber auch um alles
kümmern, nur nicht ums Essen, denn mein Bruder hatte schon für den gestrigen
Abend ein Frühjahrsmenü zusammengestellt. Wir würden chinesisch essen. Dem
Anlass entsprechend sollte es Frühlingsrollen geben und als Hauptgericht
Hühnchen mit Baumbussprossen und Wasserkastanien. „Nein!“, rief ich. „Und
nochmals nein! Ich esse doch heute keine Wasserkastanien! Dir mangelt es an
Feingefühl!“ Mein Bruder stöhnte und lenkte ein: „Na gut, dann gibt es Brokkoli
dazu. Ich vergaß, mein Bruder ist ein Sentimentalist.“