Heinrich erzählt und ich lausche |
Um es gleich vorwegzunehmen,
Marseille gefiel ihm nicht so gut, da waren sie viel zu Fuß unterwegs. Das
fällt Heinrich ebenso schwer wie mir und kann ihm schon mal die gute Reiselaune
verderben. Doch als es dann im klimatisierten Mietwagen nach Aix-en-Provence
ging, war die Welt für ihn wieder in Ordnung. Er hat dort auch gleich eine
große Schachtel Calissons für mich gekauft, weil ich die so gern mag. Und nun ist auch für mich die Welt wieder in Ordnung. Mein Bruder, er vergisst mich nicht!!!
Am meisten war er vom
französischen Essen fasziniert. Ich glaube, er ist ein echter Gourmet geworden,
Cara meint, eher ein Gourmand. Jetzt möchte er hier morgens auch immer lockere,
knusprige Croissants zum Frühstück. Im Urlaub hat er davon stets zwei bekommen.
Gina hat auf ihres verzichtet und nur an einem Stück Baguette geknabbert.
Mittags gab es natürlich auch was Feines, denn solch ein Frühstück hält ja
nicht ewig vor. Und wer Heinrich kennt, der weiß, abends hat er Hunger, und
zwar einen Bärenhunger. Da war es manchmal nicht so harmonisch mit Gina. Sie
wollte eigentlich am Abend gar nichts essen, weil sie auf ihre Figur achtet.
Doch da hat Heinrich gebettelt und sie nachgegeben. Also, ging es wieder in ein Restaurant.
Am dritten Abend spielte sich
dann Folgendes ab. Man aß in einem wunderschönen Gartenlokal. Gina bestellte
sich wie immer einen kleinen Salat und erntete vom Kellner, den man in Frankreich Garçon
nennt, die Frage: „C’est tout, Madame ? Vous êtes sûre ?“[1]
Gina, die ohnehin schon nicht bester Stimmung war, antwortete einsilbig: „Oui“.
Daraufhin machte der Kellner einen braven Diener und
sagte: „Comme vous voulez, Madame“[2], verdrehte die Augen und rauschte ab. Heinrich dagegen aß immer ein Menü, drei Gänge mindestens,
meistens vier, wie auch an diesem Abend. Erst einmal machte er sich genüsslich über die Hasenterrine nach Art des Hauses her,
indem er – ganz Bär von Welt – nach französischer Manier Baguette abbrach, wobei Teile der Kruste absplitterten und sich munter über den ganzen Tisch verteilten. Nach einem Weilchen
wurde ihm das Omelette à la ratatouille serviert. Heinrich liebt nämlich diesen typisch provenzalischen Gemüsemix, weil er so schön bunt ist. Und wie es seine
Art ist, hat er jeden Bissen kommentiert, während Gina scheinbar gelangweilt stur in die Ferne blickte
und darauf wartete, dass das Schauspiel ein Ende fand. Doch nach dem
Hauptgang gab es noch eine Käseplatte, von der sich Heinrich reichlich bediente. Gina schluckte schwer, als er den
Banon auf ein Stück Baguette strich, vor Verzückung die Augen schloss und seufzte:
„Oh Mann, oh Mann, ist der gut!“ Unter uns, den Spruch hat er aus der
Werbung. Die Augen hätte er aber besser
offen gehalten, denn wie von Zauberhand waren der Brie und der Comté von seinem
Teller verschwunden. Heinrich guckte verdutzt, erst auf den Teller, dann in die
Runde, während sich Gina zu ihrer großen Tasche herunterbückte, um nach
ihrem iPhone zu suchen. Als sie wieder
auftauchte, winkte sie noch mal den Garçon heran, bat um die Karte und
orderte für sich: „Une tarte aux pommes, les profiteroles au chocolat et deux boules de glace avec des fruits, s’il vous
plaît.“[3].
Der Kellner feixte und fragte zur Sicherheit: „C’est tout, Madame ? Vous êtes
sûre ?“ Eine Antwort wartete er aber nicht mehr ab. Nur Heinrich meinte: „Oh,
und in meinem Menü ist nur eine klitzekleine Kugel Eis enthalten. Na ja, ich bin
eben bescheiden.“