So geht es ab in die Tasche |
Cara war am Freitag im Varieté.
Doch dort gab es keine artistische Show, sondern ein Gespräch über das Essen,
denn es war Kochtag in ganz Deutschland. Sobald mein Bruder hörte, dass der
Spitzenkoch Christian Rach da sei, hat er die Ohren aufgestellt. Als er erfuhr,
dass er zu Hause bleiben müsse, hat er sie hängen lassen. Diesen traurigen
Gesichtsausdruck habe ich nicht ertragen und ihm erklärt, wie man sich schlau
in Caras Handtasche, die eher Kofferformat hat, verstecken kann. Ich hatte das schließlich
schon mehrfach praktiziert, wenn auch mit unterschiedlichem Erfolg.
Nach der Busfahrt hat Heinrich das
erste Mal vorsichtig aus der Tasche geschaut. Er traute seinen Augen nicht, nur
türkische Läden, die leckeres Obst und Gemüse anboten. Da bekam er Hunger, aber
auch Zweifel, dass sie auf dem richtigen Weg zu einem typisch hanseatischen
Varieté waren. Ich verstehe zwar, dass mein Bruder Caras Orientierungssinn nicht
traut, aber die Hansestadt ist eine weltoffene Stadt und hat somit ein urdeutsches
Theater inmitten ausländischer Läden.
Bis das Licht gedimmt wurde,
blieb Heinrich in Deckung. Danach hörte er aufmerksam dem Frage-und-Antwort-Spiel
zwischen Chefredakteur und Chefkoch zu. Doch erst zum Schluss schlug seine
Sternstunde. Es gab was zu essen. Ganz besonderer Käse und Chutneys wurden
serviert, immer ein Teller für zwei Personen. Cara und ihre Freundin Cathy teilten
sich das erste Stück Käse, kauten genüsslich, strahlten sich freudig an und diskutierten, was wohl alles in dem Chutney
sei und dass sie es unbedingt kaufen müssten. Dieses Gespräch machte sich mein
Bruder zunutze und stibitzte das größte Stück Käse vom Teller. Um sich noch ein
Stück Brot zu mopsen, fehlte die Zeit, denn die beiden Frauen waren auch auf den Geschmack gekommen und wandten sich
wieder dem Teller zu. Sie teilten sich
das nächste Stück, peinlich genau dieses Mal, und sahen sich kauend und
stumm in die Augen. Die Gelegenheit für Heinrich, sich nochmals unbemerkt zu
bedienen. Jetzt lag nur noch eine kleine Kugel Gorgonzola auf dem Teller. Cathy
fragte Cara: „Willst du noch?“ Die Antwort fiel spitz aus. „Nee, danke, ich bin
satt.“ Cathy entgegnete: „Mir reicht’s auch.“ Dann nahmen beide einen großen
Schluck Rotwein und guckten mürrisch vor sich hin. Nun war aber auch die
Veranstaltung zu Ende und der Zeitpunkt gekommen, Applaus zu spenden. Die
Chance für meinen Bruder, nach der Gorgonzola-Kugel zu grapschen und in Caras
Tasche, in die er wieder abtauchte, verschwinden zu lassen. Die beiden
Freundinnen trennten sich ohne das übliche Küsschen rechts, Küsschen links auf
die Wange, nur mit einem kurzen Tschüss.
Als Cara am nächsten Morgen nach
ihrem Portemonnaie suchte, griff sie in die Reste der Gorgonzola-Kugel und rief
voller Entsetzen: „Igitt!!! So eine Schweinerei! Zottel, komm sofort mal her!“