Donnerstag, 4. Januar 2018

Zottel ist platt



Die Zeit zwischen den Jahren

In diesem Jahr gab es bei uns keine Weihnachtsgeschenke. Das hatten wir vorher so vereinbart. Heinrich hat zwar erst gemault, weil er sich schon  auf ein Kochbuch gefreut hatte, das erst kürzlich erschienen war und er unbedingt haben wollte.

Doch letztlich hat er eingelenkt, weil ihm versprochen wurde, das was Leckeres auf den Tisch käme und er ein Wörtchen mitzureden habe, was das sei.  Also haben wir gut und viel gegessen, was immer versöhnlich stimmt. Am Heiligabend gab es Ente à l’orange. Während wir es uns schmecken ließen, haben wir Wilsberg geguckt, einen der Münsteraner Krimis, die Cara so liebt. Sie hatte gekocht, also durfte sie auch bestimmen, was wir uns im Fernsehen anschauen. Und wie es der Zufall so will, kam auch dort eine Ente à l’orange vor.

Wer nun denkt, wir hätten über die Festtage nur stur in die Glotze geschaut, der irrt sich. Es wurde viel gelesen, vorgelesen, denn auch das bildet. Cara hatte ein Buch über die Raunächte hervorgekramt. Für alle, die sich damit nicht so gut auskennen, es ist ein heidnischer Brauch. Man soll sich die Träume in den 12 Nächten, beginnend mit dem 25. Dezember bis zum 6. Januar, gut merken, denn sie stehen für die 12 Monate des nächsten Jahres. Mir kam das Ganze etwas unheimlich vor. Da ist man ja so festgelegt, nur weil man  – was auch immer –  geträumt hat.

Und in der vierten Raunacht passierte es dann auch. Es war die Nacht vom 27. auf den 28. Dezember. Sie gilt als die Nacht der Auflösung. Gemeint ist damit eigentlich, dass man das Alte, das im Vorjahr nicht perfekt gelaufen war, beiseite packen und sein Denken auf das Neue, Wünschenswerte, richten soll. Mir war das alles zu kompliziert. Außerdem hatte ich auch recht viel gegessen und war entsprechend müde. Ich haute mich also aufs Ohr. Und damit mich niemand vermisste, legte ich mich auf mein Kissen zwischen die Bücher, die Cara von Freunden und Nachbarn geschenkt bekommen hatte und in ihrem Zimmer aufbewahrte. Coole Idee, so würde ich unentdeckt bleiben. Leider hatte ich nicht bedacht, dass Cara auch zu später Stunde, nach zwei oder gelegentlich drei Gläsern schweren Rotweins, noch mal in eines der Bücher blickt, bis es ihr aus der Hand rutscht und zuklappt. So geschah es auch in dieser Nacht. Dummerweise war ihr nicht aufgefallen, dass ich zwischen die Seiten des dicken Wälzers geraten war. Und ich hatte es auch nicht bemerkt, da ich tief und fest schlief wie das sprichwörtliche Murmeltier. Den Druck, den ich verspürte, und die leichte Atemnot  führte ich auf das üppige Essen zurück und dachte an nichts Böses. 

Am nächsten Morgen waren wieder alle so sehr mit sich beschäftigt und redeten wild durcheinander, lachten, dass es ihnen gar nicht auffiel, dass ich nicht erschien. Auch mein Rufen aus Caras Zimmer blieb ohne Reaktion. Waren sie denn alle taub? Nein, meine Stimme war so schwach, weil ich zwischen den Seiten eingequetscht war. Das war eine verdammt missliche Situation. 

Irgendwann –  so drei Tage später – war meine Abwesenheit wohl meinem Bruder aufgefallen und er fragte in die Runde: „Wo steckt eigentlich Zottel?“ Betroffenes Schweigen, denn niemand wusste was. Nun ging das Suchen los. Das war mein Glück. Als Cara mich fand, stieß sie einen schrillen Schrei aus und machte ein entsetztes Gesicht, als hätte sie Edvard Munch Modell gestanden. Sofort kamen alle angerannt. Der Anblick war für die anderen nicht schön und alle blickten betreten zu Boden. Ich hatte mich wohl sehr verändert.
Zwischen dem dicken Wälzer
Ich war platt




















Mein Bruder fand als Erster die Sprache wieder und sagte in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete: „Als erstes muss er trinken.“ – „Zottel, willst du einen Kakao oder eine Hühnerbouillon?“ Mir war es wurscht und ich antwortete völlig sinnfrei: „Ja“. Ab diesem Moment stand ich im Mittelpunkt, und das rund um die Uhr bis zum Neujahrstag. Ich war wohl der Einzige, der über Weihnachten an Gewicht verloren hatte, und das nicht zu knapp. 

Doch inzwischen habe ich zu meiner alten Form zurückgefunden. Das habe ich vor allem meinem Bruder zu verdanken, denn er hat mich fürsorglich mit den leckersten Häppchen gefüttert und dabei erklärt, wieviel Nährwert in welchem Käse, Fisch, Fleisch, Marzipanbrot und Lebkuchen steckt. Glücklicherweise kann ich beachtliche Mengen verputzen und nehme auch schnell zu, wie man erkennen kann.
Heinrich hat mich aufgepäppelt, wie nur ein Bruder es kann.

Ich weiß ja nicht, was meine LeserInnen so von den Raunächten halten. Also ich brauche solch ein Erlebnis kein zweites Mal. Doch egal wie ihr zu diesem Orakelkram steht, ich wünsche euch allen ein gutes 2018 bei bester Gesundheit! Und falls ihr mal ein paar Kilo zu viel auf den Rippen habt, kennt ihr ja jetzt eine neue Diät.
Viel Glück für 2018!