Zottel erinnert sich |
Mon Dieu, dachte ich heute
Morgen, was bin ich alt geworden! Normalerweise hätte ich „Mein Gott“ gedacht,
aber diese sprachliche Verwirrung lag wohl am gestrigen Abend oder auch am
heutigen Tag, an dem ich mit einem Déjà-vu erwachte. Jedenfalls erschien es mir
in meiner Erinnerung so, als hätte ich erstkürzlich darüber geschrieben, wie der französische Präsident Hollande unsere
Kanzlerin besuchte, nämlich damals, als er sein Amt antrat. Nun kommt er wieder
her, um Abschied zu nehmen, denn seine Amtszeit läuft aus.
Für seinen Besuch hat er
ausgerechnet den 8. Mai gewählt, den Tag, als Deutschland 1945 die Waffen
gestreckt hat. Das weiß ich aus Caras Erzählungen. Nicht, dass jetzt jemand
denkt, ich hätte da schon gelebt. So alt bin ich dann doch nicht und Cara auch
nicht. Sie weiß es von ihren Eltern und Großeltern und aus Geschichtsbüchern.
Unvorstellbar, dass Frankreich und Deutschland mal Krieg gegeneinander geführt
haben! Und sie haben es mehrmals getan. Wie kann man nur so dumm sein? Da
sterben Menschen, die doch viel gemütlicher an einem Tisch sitzen und was
Leckeres essen und einen köstlichen Wein dazu trinken könnten. Meinetwegen
sollen sie dann darüber streiten, welcher Wein besser zum welchem Essen passt,
ein deutscher Riesling oder ein französischer Sauvignon blanc. Na ja, Menschen
ist nicht zu helfen, wenn sie es denn vorziehen, sich gegenseitig umzubringen.
Muss man sich doch an die Stirn tippen!
Doch zurück zum heutigen Besuch
von Monsieur Hollande. Dem ging logischerweise die Wahl des neuen Präsidenten
voraus, und die fand gestern statt. Frankreich hat gewählt und hier gab es eine
Wahlparty. Cara hat für ihre Gäste bereits am Nachmittag ein große Menge Quiche
lorraine zubereitet. Mein Bruder war Feuer und Flamme, schaute ihr über die
Schulter und fragte, warum sie sich denn ausgerechnet an diesem Tag so viel Arbeit mache und nicht einfach wie
sonst eine Pizza aufbacke. Die Antwort kam prompt: „Als Referenz und in
Erinnerung an meine Großeltern.“ Heinrich und ich sahen uns an und hakten nach:
„Was haben denn deine Großeltern mit Lothringen zu tun?“ – „Da
stammen sie her“, hieß es knapp.
Huch, das kam jetzt überraschend!
Sie hat nie darüber gesprochen. Nun wollte ich es genau wissen: „Waren sie denn
nun Deutsche oder Franzosen?“ Cara zuckte mit den Schultern und meinte: „Gelebt
haben sie in Deutschland, aber wenn sie von Saint-Avold, Pont-à-Mousson oder auch
Metz sprachen, dann sagten sie in unserer Heimat. Im Grunde waren sie
wohl Europäer, bevor es die Europäische Union gab.“
Als dann die Gäste kamen, die keinen
Krebs in der Tasche hatten und dem Anlass gemäß einige Flaschen Pinot Gris und Crémant
d’Alsace mitbrachten, gab es die besagte
Quiche aus Lothringen. Danach schauten alle gebannt auf die Wahlergebnisse in
Frankreich und atmeten Punkt 20 Uhr erleichtert auf. Selbst Anne Will konnte
gestern nicht ihre Dackelfalten machen. Irgendwann holte Cara einen großen Teller mit Macarons aus
der Küche und reichte ihn herum.
Himbeer für Zottel, Pistazie für Heinrich |
Sie selbst stopfte sich auch genüsslich eins
dieser teuren kleinen Dinger in den Mund und seufzte: “Oh Mann, oh Mann, ist
der gut!“ Unter uns, diesen Spruch hat sie aus der Werbung, und zwar von
Barbara Schöneberger. Nur die sagt immer: „Ho Mann, ho Mann.“ Ich glaube, ich
muss der Barbara mal schreiben, dass die Franzosen das H nicht aussprechen. Ist ihr hoffentlich
nicht peinlich, dass ich das besser weiß als sie.
Es war gestern ein langer Abend
und ich gestehe, ich habe nicht alles behalten, worüber Caras Freunde so heftig
diskutierten, weil ich müde und satt war. Heute bin ich aber wieder gut
ausgeschlafen und werde das Treffen von Monsieur Hollande und Frau Merkel genau
verfolgen.
Und ein bisschen tröstet es mich in
meinem Gefühl, gealtert zu sein, dass Caras
Großeltern zwar alt, aber irgendwie modern waren. Sie waren Europäer, bevor das
überhaupt ein Thema war. Cool, oder?