Montag, 8. Mai 2017

Zottel fühlt sich sehr, sehr alt


Zottel erinnert sich
Mon Dieu, dachte ich heute Morgen, was bin ich alt geworden! Normalerweise hätte ich „Mein Gott“ gedacht, aber diese sprachliche Verwirrung lag wohl am gestrigen Abend oder auch am heutigen Tag, an dem ich mit einem Déjà-vu erwachte. Jedenfalls erschien es mir in meiner Erinnerung  so, als hätte ich erstkürzlich darüber geschrieben, wie der französische Präsident Hollande unsere Kanzlerin besuchte, nämlich damals, als er sein Amt antrat. Nun kommt er wieder her, um Abschied zu nehmen, denn seine Amtszeit läuft aus. 

Für seinen Besuch hat er ausgerechnet den 8. Mai gewählt, den Tag, als Deutschland 1945 die Waffen gestreckt hat. Das weiß ich aus Caras Erzählungen. Nicht, dass jetzt jemand denkt, ich hätte da schon gelebt. So alt bin ich dann doch nicht und Cara auch nicht. Sie weiß es von ihren Eltern und Großeltern und aus Geschichtsbüchern. Unvorstellbar, dass Frankreich und Deutschland mal Krieg gegeneinander geführt haben! Und sie haben es mehrmals getan. Wie kann man nur so dumm sein? Da sterben Menschen, die doch viel gemütlicher an einem Tisch sitzen und was Leckeres essen und einen köstlichen Wein dazu trinken könnten. Meinetwegen sollen sie dann darüber streiten, welcher Wein besser zum welchem Essen passt, ein deutscher Riesling oder ein französischer Sauvignon blanc. Na ja, Menschen ist nicht zu helfen, wenn sie es denn vorziehen, sich gegenseitig umzubringen. Muss man sich doch an die Stirn tippen!

Doch zurück zum heutigen Besuch von Monsieur Hollande. Dem ging logischerweise die Wahl des neuen Präsidenten voraus, und die fand gestern statt. Frankreich hat gewählt und hier gab es eine Wahlparty. Cara hat für ihre Gäste bereits am Nachmittag ein große Menge Quiche lorraine zubereitet. Mein Bruder war Feuer und Flamme, schaute ihr über die Schulter und fragte, warum sie sich denn ausgerechnet an diesem Tag  so viel Arbeit mache und nicht einfach wie sonst eine Pizza aufbacke. Die Antwort kam prompt: „Als Referenz und in Erinnerung an meine Großeltern.“ Heinrich und ich sahen uns an und hakten nach: „Was haben denn deine Großeltern mit Lothringen zu tun?“ – „Da stammen sie her“, hieß es knapp. 

Huch, das kam jetzt überraschend! Sie hat nie darüber gesprochen. Nun wollte ich es genau wissen: „Waren sie denn nun Deutsche oder Franzosen?“ Cara zuckte mit den Schultern und meinte: „Gelebt haben sie in Deutschland, aber wenn sie von Saint-Avold, Pont-à-Mousson oder auch Metz sprachen, dann sagten sie in unserer Heimat. Im Grunde waren sie wohl Europäer, bevor es die Europäische Union gab.“   

Als dann die Gäste kamen, die keinen Krebs in der Tasche hatten und dem Anlass gemäß einige Flaschen Pinot Gris und Crémant d’Alsace  mitbrachten, gab es die besagte Quiche aus Lothringen. Danach schauten alle gebannt auf die Wahlergebnisse in Frankreich und atmeten Punkt 20 Uhr erleichtert auf. Selbst Anne Will konnte gestern nicht ihre Dackelfalten machen. Irgendwann  holte Cara einen großen Teller mit Macarons aus der Küche und reichte ihn herum. 
Himbeer für Zottel, Pistazie für Heinrich
 
Sie selbst stopfte sich auch genüsslich eins dieser teuren kleinen Dinger in den Mund und seufzte: “Oh Mann, oh Mann, ist der gut!“ Unter uns, diesen Spruch hat sie aus der Werbung, und zwar von Barbara Schöneberger. Nur die sagt immer: „Ho Mann, ho Mann.“ Ich glaube, ich muss der Barbara mal schreiben, dass die Franzosen das  H nicht aussprechen. Ist ihr hoffentlich nicht peinlich, dass ich das besser weiß als sie. 

Es war gestern ein langer Abend und ich gestehe, ich habe nicht alles behalten, worüber Caras Freunde so heftig diskutierten, weil ich müde und satt war. Heute bin ich aber wieder gut ausgeschlafen und werde das Treffen von Monsieur Hollande und Frau Merkel genau verfolgen. 

Und ein bisschen tröstet es mich in  meinem Gefühl, gealtert zu sein, dass Caras Großeltern zwar alt, aber irgendwie modern waren. Sie waren Europäer, bevor das überhaupt ein Thema war. Cool, oder?