Montag, 29. Februar 2016

Ein gruseliger Fund


Wieder zu Hause
Aus der Ferne sah es aus wie ein ausgebeultes Stück Stoff, das da vor unserem Haus auf den Mülltonnen lag. Doch beim Nähertreten entpuppte  sich das Etwas als schmuddeliger Stoffbär. Seine Unsauberkeit war aber nicht das Schlimmste. Aus seinem Bauch quoll Holzwolle, ihm fehlte ein Ohr. Sein rechter Arm war  verletzt und sein Kopf – man mag so etwas gar nicht schreiben – hing nur noch an einem Zwirnsfaden. Wer hat das getan? Wer hat ihn so zugerichtet? War ich in einen Horrorfilm geraten? Ich blickte erst weg, dann hilfesuchend zu Cara. Sie sah sich den Teddy an und meinte, es habe keinen Sinn, in die Stofftierklinik zu fahren. Die Ärzte dort könnten nichts mehr für ihn tun. Das sind Sätze, die niemand hören möchte, und ich kann gar nicht sagen, ob ich eher traurig oder wütend war. Falls jetzt jemand  meint, der gruselige Fund müsste durch ein Foto dokumentiert werden, dem kann ich nur entgegnen, wir sind nicht die Boulevardpresse und dieser Bär hat viel erlitten, dem lässt man seinen letzten Rest an Würde. Und außerdem, schon mal was vom Recht am eigenen Bild gehört? 

Cara trug den Teddy vorsichtig in die Wohnung. Dort holte sie einen Schuhkarton hervor, nahm ihre Pumps heraus, stellte sie in die Ecke, schlug den Karton mit einem Stück weichen Stoff aus und legte den Teddy behutsam hinein. Bevor sie die Schachtel wieder verschloss, blickten Heinrich und ich einen Moment – jeder ganz in seine Gedanken versunken – auf den armen Bären, der jetzt aussah, als ob er in einem warmen Bettchen schlief. Gustav, der mal wieder bei uns zu Besuch war, kam hinzu und ihm hat der Anblick sein wohlgefälliges Dauergrinsen aus dem Gesicht gehauen. Da sieht man’s mal wieder, der Tod macht alle klein und demütig. 

Dann machten wir uns gemeinsam auf den Weg, den ich mit Cara schon einmal gegangen bin, damals bei Dunkelheit, um Rapunzel ungestört die letzte Ehre zu erweisen. Auf dem Weg zum Park kaufte Cara einen Blumentopf mit Frühjahrsblühern, als wollte sie Werden und Vergehen zusammen bringen. Sie hatte ein bisschen Mühe, das kleine Grab auszuheben, denn die Erde war gefroren. Sie seufzte leise: „Dieses Sterben im Januar und Februar geht mir gehörig auf den Geist und an die Nieren.“ Und vor allem auch auf die Muckis, dachte ich bei mir. Ein paar Enten kamen neugierig angewatschelt, wohl in der Hoffnung, es gäbe Brot. Doch da hatten sie mal Pech gehabt. Als die Erde schwer auf den Karton fiel, liefen mir kleine Schauer den Rücken entlang. Da wärmten mich auch nicht die Sonnenstrahlen, die gerade durch die Wolken lugten. 

Ich war froh, als wir wieder zu Hause waren, und Heinrich auch. Wir haben uns in unseren Sessel gesetzt, konnten aber keine Ruhe finden, nicht am Tag und auch nicht in der Nacht. Das Bild des so zugerichteten Teddys ging uns nicht aus dem Kopf. Und weil dies so ist, muss ich nun doch den Satz schreiben, den ich bisher für wichtigtuerisches Gehabe der Menschen hielt: Es wird nichts mehr so sein, wie es mal war.

Dienstag, 16. Februar 2016

Die Schlüssel, Kinder!


Zottels Lektion über Schlüssel
Schlüssel öffnen Türen und Mütter rufen mahnend: Die Schlüssel, Kinder! Das prägt, manchmal jedenfalls. Kurz und knapp, es ist wichtig sich zu merken, wo man seine Schlüssel hingelegt hat. Cara beispielsweise mag keine Schlüsselbretter und stopft ihr Schlüsselbund immer in ihre Handtasche. Ein Problem taucht erst auf, wenn sie sich mal für eine andere Tasche aus ihrer Sammlung entscheidet. Dann darf sie nicht vergessen, dass das Schlüsselbund mitwandern muss. Cara ist aber auch schlau und hat einen Zweitschlüssel für ihre Wohnung bei den Nachbarn hinterlegt, sodass sie dort stets klingeln kann. Also stößt sie sich niemals die Nase vor der eigenen verschlossenen Tür.

Doch diesen simplen Trick scheinen nicht alle zu beherrschen. Ihre Freundin Biggie, die recht oft etwas verpeilt ist, weil ihre Gedanken beim Shoppen oder sonstwo sind, hält ihr Schlüsselbund immer in der Hand, wenn sie beispielsweise ein Lokal betritt. Dann geht sie zum Tisch und legt es neben ihr Gedeck. Das hat den Vorteil, dass alle die Schlüsselei sehen und sie darauf aufmerksam machen können, falls sie sie vergisst. Praktisch! Und jeder kann auch sehen, dass Biggie eine wichtige Frau ist, die gewaltig viele Schlüssel mit sich trägt. Nicht umsonst spricht man von Schlüsselgewalt. Und man sieht auch den schönen Anhänger. Nein, keinen mit einem Stofftier oder Swarovski-Steinen, so etwas Verspieltes passt eher zu Cara.
Caras neu erworbener Schlüsselanhänger
 
Biggie hat natürlich einen ganz schlichten, aber daran hängt auch ihr Autoschlüssel mit dem entsprechenden Emblem. Um das Fabrikat zu erspähen, wandern manchmal vom Nachbartisch neugierige oder sogar bewundernde Blicke zu ihr herüber. Ich glaube ja, das findet sie insgeheim cool.  

Beim Einkaufen macht Biggie es ganz genauso. Schlüssel auf die Theke legen, Portemonnaie zücken, bezahlen, alles einpacken und dann abdampfen. Ach nein, vorher noch die Schlüssel mitnehmen. Meistens klappt das auch. Nur neulich war sie wohl sehr in Eile. Jedenfalls vergaß sie ihr dickes Bund und die Kassiererin hat es ebenfalls nicht oder zu spät bemerkt. Es war auch schon kurz vor Ladenschluss, und da sind Verkäuferinnen nicht mehr so frisch im Kopf. Kann man ja verstehen. Zu Hause stand die arme Biggie nun vor verschlossener Tür. Ihr Smartphone hatte sie leider auch in ihrer Wohnung liegen lassen und konnte somit keine Freundin anrufen und um Asyl bitten. Es war irgendwie nicht ihr Tag.

Also ist sie wieder zum Auto gegangen und hatte die Wahl, bei der Bahnhofsmission um Unterschlupf zu bitten oder bei der Polizei. Sie entschied sich für die Ordnungshüter, denn es heißt nicht umsonst: Die Polizei –  dein Freund und Helfer. Anfangs haben die Beamten zwar etwas irritiert, später eher amüsiert geguckt, als sie sich entschieden hatten, mal eine Ausnahme zu machen. Denn  eine Wache ist nämlich, wie der Name schon verrät, kein Ort zum Schlafen. Doch Biggie hatte die Beamten mit Worten und einem Kasten Pralinen überzeugt, den sie eigentlich ihrer Oma ins Seniorenheim mitbringen wollte. Aber egal ob Zartbitter oder Krokant, Männer stehen auf Süßes. Also durfte sie eine Zelle beziehen. Das Übernachten fiel wohl ein bisschen anders aus als in einem Vier-Sterne-Hotel. Viel hat Biggie jedenfalls nicht darüber berichtet, war nur froh, als sie am nächsten Tag in dem Geschäft ihre Schlüssel abholen konnte. Man hatte sie letztlich gefunden und für sie verwahrt.

Wenn Cara jetzt mit Biggie unterwegs ist und das Schlüsselbund wieder demonstrativ auf dem Tisch landet, blickt Cara nur mit sturem Blick auf die Türöffner und sagt laut und vernehmlich: „Biggie, denk an deine Zeit im Knast!“   

Montag, 8. Februar 2016

Alles auf null zurück! Der Affe ist los!


Nachdem dieses Jahr so spannungsgeladen begann, also für mich persönlich, und so viele Berühmte nicht mehr bei uns sind, bin ich sehr froh, dass ein Neustart möglich ist. Jedenfalls hoffe ich das, dass nun alles besser wird, wenigstens ein bisschen. Denn man darf das Hoffen nicht aufgeben und auch das Lachen nicht verlernen.
 

Vielleicht funktioniert es wie beim PC, einfach alles auf null zurücksetzen. Also, niemand muss das jetzt an seinem Computer austesten, ich habe das auch nicht gemacht. Das war nur ein Vergleich, eine Idee.
Der Feuer-Affe in Feierlaune

Ich las nämlich gerade noch rechtzeitig, dass in China am 8. Februar das Jahr des Affen beginnt, eines sehr feurigen Affen sogar, der nur so sprüht vor Energie. Das bedeutet, dass wir noch einmal die Chance haben, das neue Jahr zu begrüßen, eben nur einen Monat später. Heinrich und ich waren uns sofort einig, wir sollten das unbedingt tun. Außerdem kann es sein, dass wir aus China stammen. Kann man alles nicht wissen.

Es gibt eine Menge Vorteile bei diesem Neubeginn. Man muss sich sehr frustrierenden Sachen, die sich meistens aus den Vorsätzen von Silvester ergeben, nun nicht mehr stellen. Die wurden bereits im Januar erledigt oder auch nicht. Cara beispielsweise hat inzwischen die Diät-Krise aus dem Januar verdaut und sich heute, weil ja auch noch Rosenmontag ist, einen fetten Berliner (für die Berliner Leser, das ist ein Pfannkuchen) gegönnt. Glück hatte sie, er war mit ihrer Lieblingsmarmelade, mit Pflaumenmus, gefüllt und mit dickem Zuckerguss überzogen und nicht in Zucker gewälzt, der immer so hässlich zwischen den Zähnen knirscht. So fing das Jahr des Affen für sie gut an. Vergessen  hat sie längst auch den Januar-Sale, bei dem sie wie so oft nichts gefunden hat, was für schlechte Laune sorgte.

Alle, die hier regelmäßig lesen, haben es sich bestimmt schon gedacht. Mein Bruder sucht nun nach Rezepten, damit am Abend ein leckeres chinesisches Essen auf den Tisch kommt. Er ist mit Feuereifer dabei, denn es ist schließlich das Jahr des Feuer-Affen. Cara wurde zu den Nachbarn geschickt, um sich einen Wok zu leihen, in dem dann die feinen Gemüse- und Fleischstreifen gebraten werden. Für die Vorbereitung wurden zwei ihrer Freundinnen als Schnippelhilfen engagiert. Hier geht es zu wie beim Perfekten Dinner, nur vom Fernsehen ist mal wieder keiner da. Freunde und Nachbarn sind eingeladen, um mit uns das neue Jahr zu feiern. Hoffentlich besteht mein Bruder nicht darauf, dass alle mit Stäbchen essen. Da passiert es schnell, dass die mühsam aufgeschaufelten Reiskörner zurück in die Schälchen flutschen und man hungrig bleibt. Und Hunger macht missmutig. So könnte es bei diesem feurigen Jahr schnell zu Wutausbrüchen oder einem frühen Aufbruch kommen. Für alle Fälle hat Cara eine Flasche Maotai-Schnaps besorgt, um die Gemüter zu besänftigen. Sie hätte zwar lieber einen französischen Rotwein serviert, doch das lässt Heinrich nicht zu, da ist er Purist. Er will sogar Glückskekse backen. Nun bin ich gespannt, wie er da die Zettel mit den weisen Sprüchen hineinfriemelt. Doch das soll mein Problem nicht sein.  

Dienstag, 2. Februar 2016

Ruhe und Erholung im Februar


Mein großes Herz darf man nicht zu sehr strapazieren
Der Januar brachte keinen guten Einstieg ins neue Jahr. Gustavs Besuch und sein Wissen als Coach, das er ständig zum Besten gab, hat mich aus der Bahn geworfen. Er sollte sich hier erholen. Gut und schön. Das Freiburger Bärle hatte die Ruhe weg und ließ alle vermeintlich guten Ratschläge an sich abprallen. Ich kann aber nicht immer nichts sagen oder gar weghören. Die Besserwisserei ging mir gehörig gegen den Strich. Doch dann kam die Wende. 

Nachdem alle einen guten Rat mit auf den Weg bekommen hatten, war auch Cara an der Reihe. Gustav schaute sich ihren Schreibtisch an und schüttelte den Kopf. Heinrich stupste mich an und wir warteten gespannt, was nun geschehen würde. Und schon legte Gustav los:
Keine großen Sprünge mit Fröschen
„Also, ein Schreibtisch ist ein Arbeitsplatz. Da haben Keksdose und Deko-Artikel nichts zu suchen. Sie lenken nur vom Wesentlichen ab, den klaren Gedanken. Schließlich bist du keine Kreative, die Anregungen braucht. Und selbst die…“ Weiter kam er nicht, denn Caras  Antwort ließ nicht lange auf sich warten: „Ich arbeite jetzt seit zwanzig Jahren auf diese Weise und gedenke nicht mit wem auch immer zu diskutieren, was auf meinem Schreibtisch zu liegen hat.“ Doch der Schlaubär ließ nicht locker: „Cara, wenn du nicht immer zu den Fröschen guckst oder in die Keksdose greifst, kannst du in kürzerer  Zeit deine  Arbeit fertigstellen und somit auch mehr verdienen. Denn bedenke, Zeit ist Geld! So allerdings wirst du nie große Sprünge machen“, schob er noch nach. Cara hatte inzwischen ungesund rote Flecken am Hals und holte tief Luft: „Mir reicht’s aber, sowohl mit dem, was ich hier und heute verdiene, als auch mit deinen ach so tollen Tipps. Entweder du hältst deine Klappe oder du verschwindest und erholst dich da, wo der Pfeffer wächst.“ Mein Bruder und ich beobachteten neugierig, was nun wohl passierte. Doch es blieb still, auch den ganzen Abend lang und alle gingen recht früh schlafen. 

Mitten in der Nacht schreckte ich hoch. Hatte ich wirres Zeug geträumt oder war da ein ungewohntes Geräusch zu hören? Ich schlich zur Tür und sah Licht in der Küche. Also schaute ich vorsichtig um die Ecke. Cara saß am Küchentisch, vor sich ein großes Glas von dem Calvados, über den sie immer sagt, den könne man nicht trinken, der kratzt. In dieser Nacht jedenfalls kratzte sie das wenig. Sie nahm einen großen Schluck und sagte: „Das tut gut!“ Ich  machte mich bemerkbar und fragte, ob ihr das Abendessen nicht bekommen sei. Doch es war Gustav, der ihr schwer im Magen lag. Sie hatte geträumt, er habe all ihre Frösche vom Schreibtisch genommen und mit lachendem Gesicht gegen die Wand geworfen. Nun sind ihre Frösche aus Ton und verwandeln sich nicht wie im Märchen in einen schönen Prinzen, sondern zu traurigen Scherben. Es muss ein sehr hässliches Bild gewesen sein, das sie da verfolgte.
 
Plötzlich stand auch Heinrich in der Tür und berichtete, er habe vor einigen Nächten geträumt, dass Gustav all seine Kochbücher zerschnitten und dabei immer gemurmelt habe: „Das muss man ganz anders schreiben. Das taugt alles nichts. Hausfrauenkram.“ Als er dann das Buch mit dem vielversprechenden Titel  „Glücksmomente in Gelee & Konfitüre“ in die Hand nahm, war mein Bruder aufgewacht. Sein Herz schlug bis zum Hals. Doch dann sah er erleichtert, dass das Buch, das er gerade zu Weihnachten bekommen hatte, noch im Regal stand. Und auch alle anderen Kochbücher waren noch da. 
Heinrich und seine Kochbücher
 
Cara hatte inzwischen ihren kratzigen Calvados geleert, war putzmunter und meinte: „So, der Bock ist fett. Gastfreundschaft hin, Gastfreundschaft her. Mister Neunmalklug reist morgen ab. Jetzt brauchen nämlich wir ein bisschen Ruhe und Erholung, damit nicht uns ein Burnout oder sonstwas ereilt.“ Sie ging ins Internet, buchte ihm eine Fahrkarte und packte seinen Koffer. Ehrlich, ich habe noch nie so gern hinter einem Zug hergewinkt wie gestern.     
... und das ganz ohne Gustav
... und das ganz ohne Gustav