Montag, 11. Januar 2016

Bär ist nicht gleich Bär


Gustav braucht Ruhe
Zu Anfang des Jahres hatten wir Besuch. Gustav, ein Freund des Freiburger Bärle. Es hieß, er brauche Erholung, damit ihn kein Burnout ereilt. Denn er ist ein sehr beschäftigter Unternehmer. Ich sah sofort Heinrichs ungewohnt skeptischen Blick, und schon fragte er den Gast: „Und was unternimmst du so?“ Wir erfuhren, dass er eine Fabrik besitzt, in der Gummibärchen hergestellt werden. Begeistert riefen wir aus: „Ach, das sind die bunten Bärchen, für die der Thomas immer diese lustige Werbung macht!“ Gustav entgegnete voller Entrüstung: „Ja, und genau das ist der Punkt. Doch Bär ist nicht gleich Bär, auch nicht bei den Süßigkeiten. Die ich herstelle, sind nicht bunt, sondern aus reinem Honig. Denn ihr müsst wissen, der Schwarzwald ist berühmt für seinen Honig.“ Hielt er uns für doof? Also sagte ich: „Ja, und es gibt auch Thymianhonig und Lavendelhonig, die kommen aus südlichen Ländern und die sind auch gut. – Doch wo genau liegt jetzt dein Problem?“ Gustav antwortete: „Meine Bärchen haben den Kindern so lange geschmeckt, bis die bunten kleinen Dinger auf den Markt kamen und dieser Schalk, der sich für einen Gott hält, dauernd im Fernsehen zu sehen ist. Nun quengeln die Kinder so lange, bis die genervten Eltern nachgeben und ihnen die Tüten mit dem farbigen Inhalt kaufen. Qualität spielt keine Rolle und ich bleibe auf meinen Honigbären sitzen.“ 

Sein Jammern schien mir ein bisschen übertrieben und ich meinte: „Aber es gibt sicher auch Eltern, die für ihre Kinder nur das Beste wollen und deine guten Bären kaufen?“ Nun kam Gustav erst so richtig in Fahrt. „Das sind die Schlimmsten. Für die muss alles Bio sein. Immer nur Bio und Öko. Und um auf Nummer sicher zu gehen, lesen sie jeden Greenpeace-Bericht und Öko-Test, den sie in die Finger bekommen. Da steht dann, dass der Honig verseucht ist mit Pestiziden. Schon haben sie Angst um das Wohl ihrer lieben Kleinen und kaufen die Honigbären nicht.“ Nun verstand ich gar nichts mehr. Hatte er nicht eben noch gesagt, seine Bären seien die besseren? Doch er ließ mir keine Zeit, Fragen zu stellen, sondern klagte weiter.

„Jetzt ist wieder Januar, eine schlimme Zeit für mich, denn ich muss meine Bilanz erstellen und die Erfolgsrechnung. Da werde ich wohl rote Zahlen schreiben“, seufzte Gustav. „Dann hast auch du mal was Buntes, da kannst du dich doch freuen“, wandte mein Bruder ein. Cara verdrehte die Augen und sagte: „Nun, lasst mal den armen Gustav in Ruhe, der soll sich hier vom dem schweren Jahr, das hinter ihm liegt, erholen.“ Ich fand zwar, viele hatten ein anstrengendes Jahr 2015 hinter sich, auch ich, wenn ich nur daran dachte, dass ich mir beim Plätzchenbacken die Tatzen verbrannt hatte. Doch ich sagte nichts, damit keine schlechte Stimmung aufkam.

Im Gegenteil ich machte mir Gedanken, wie man ihm helfen könne. Ein Brief an Greenpeace hätte wohl wenig Zweck. Doch vielleicht könnte ich ein paar Zeilen an den Thomas schreiben, er solle doch keine Werbung mehr machen, damit Gustav wieder sein Naschzeug besser verkaufen kann. Als ich das Heinrich erzählte, sagte der nur: „Lass das, das ist vergebliche Liebesmühe! Hast du seine Kleidung gesehen? Der jammert auf hohem Niveau. Ich kenne das von Jens, den ich viele Jahre treu begleitet habe. Seine Eltern hatten  ständig solche Leute zu Besuch, derselbe feine Zwirn, ein Haus in Blankenese oder Harvestehude, aber angeblich ging’s bergab.“ Davon hatte Heinrich mir noch nie erzählt und ich vermutete, dass er nur schlechte Laune hatte, warum auch immer. 

Ich wirke blass und unscheinbar im Vergleich zu Gustav
Doch kaum hatte ich das gedacht, wandte sich Gustav mir zu, musterte mich und meinte: „Zottel, du könntest ruhig mal was für dein Image tun, zum Friseur gehen, dein Fell glätten und ein bisschen färben lassen. Ich will dir ja nicht zu nahe treten, aber deine Kleidung stammt wohl vom Flohmarkt. Du wirkst – freundlich ausgedrückt – etwas verwildert.“ Natürlich war mir aufgefallen, dass Gustav mehr hermachte als ich. Und das ging nicht spurlos an mir vorbei. So musste sich Aschenputtel neben ihren Stiefschwestern gefühlt haben, ein Märchen, das ich hasse, wie meine Leser wissen. Und nun hielt der Jammerlappen von Unternehmer mir auch noch den Spiegel vor. Da fielen mir wieder Heinrichs Worte ein und nun hat es auch mir gereicht. „Sieh du mal zu, dass du eine schwarze Null schreibst, und lass mich so aussehen, wie es mir gefällt.“ 

Doch Gustav ließ nicht locker. „Zottel, du bist beratungsresistent und unflexibel. Sieh mich an! Kleider machen Leute. Nachdem es mit den Honigbären nicht mehr so gut lief, habe ich mir ein zweites Standbein geschaffen.“ Ich sah an ihm runter und entdeckte tatsächlich zwei Beine, was ich aber – unter uns gesagt –  für normal hielt. Also fragte ich: „Und was ist nun mit dem zweiten Bein?“ „Ich coache“, antwortete er voller Stolz. Das bringt gut was ein.“ Erst hatte ich Couch verstanden und dachte, er macht es sich auf dem Sofa so richtig gemütlich. Doch es verhielt sich anders, er machte es anderen ungemütlich, diktierte ihnen, was sie zu tun und zu lassen haben, und kassierte dabei ab.

Mein Bruder hat Recht behalten. Es geht ihm gar nicht schlecht, er gehört zu denen, die immer wieder auf die Füße fallen. Am meisten jedoch ärgerte mich, dass er jammerte und  sich ungebeten in mein Leben einmischte, auf mich herabsah. Ich glaube, ich werde jetzt doch einen Brief an den Thomas schreiben und ihn bitten, dass er weiterhin solch eine lustige Werbung für die goldigen bunten Bärchen macht. Denn Heinrich und mir gefällt das.