Donnerstag, 24. September 2015

Die Dinge so lassen, wie sie sind


Gestern war Herbstanfang und die Sonne schien. Da musste ich Cara recht geben, auch der Herbst hat seine schönen Tage. Das sagt sie nämlich häufiger, auch wenn gar kein Herbst ist. Dann schaut sie verträumt in die Gegend und wirkt nachdenklich. Mir kann sie aber nichts vormachen. Ich weiß genau, dass der Sommer ihre Lieblingsjahreszeit ist. Da fliegen ihr  bei 30 Grad nur so die Gedanken zu und sie sitzt in ihrem bunten Sommerkleidchen am PC, arbeitet in rasender Geschwindigkeit, hat gute Laune, weil sie weiß, dass sie abends Freundinnen trifft und mit ihnen noch lange auf der Terrasse sitzt, bei einem Glas Rosé ein schönes Essen und die laue Luft genießt. 

Da es gestern aber tatsächlich ein sonnig warmer Herbsttag war, habe ich die Gelegenheit zu einem langen Spaziergang genutzt und dabei Eicheln gesammelt und auch ein paar Kastanien gefunden. Meine Beute habe ich dann auf dem Balkon ausgelegt, mich daran erfreut und noch die letzten Sonnenstrahlen genossen. Als mein Bruder die Eicheln sah, fragte er: „Was machst du jetzt damit?“ „Nichts mache ich damit. Die bleiben da so liegen. Oder glaubst du, ich stecke da jetzt Streichhölzer hinein und sage je nach deren Länge Oh, was für ein hübsches Pferd habe ich da gebastelt! oder Oh, was für ein niedlicher kleiner Hund ist das geworden!? Und wenn die Kastanien nach einigen Tagen nicht mehr so schön glänzen, werde ich nicht Caras teure Nachtcreme nehmen und sie damit aufpolieren. Es bleibt alles einfach mal so, wie es ist.“

Ich war wohl etwas laut geworden, denn plötzlich stand Cara auf dem Balkon, nahm versonnen einen Schluck von ihrem Tee und nuschelte in den Becher: „Wassen los, Zottel? Hattest du keinen schönen Tag?“ „Doch, bis jetzt jedenfalls“, gab ich zurück. „Dann ist es ja gut.  - Oh, dieser Tee ist köstlich, wirklich was ganz Besonderes!“ Da wurde mein Bruder hellhörig und wollte mehr erfahren: „Wieso besonders?“ „Da ist ein bisschen Chili und Schokolade drin und das gibt ihm diesen wundervollen, außergewöhnlichen Geschmack.“ Ich dachte, ich hätte mich verhört. Müssen wir denn jetzt in Bratensoße Schokolade krümeln, Schokolade essen, in der Chili ist, und nun auch noch Tee mit Chili und Schokolade trinken? 

Meinem Bruder gefiel das natürlich. Kulinarische Neuheiten sind für ihn ein Grund zur Freude. Neulich hat er Cara überredet, ein Tütchen von diesem grünen Tee zu kaufen, den es als Pulver gibt und von dem 30 g immerhin 19,95 Euro kosten, und das war noch die preiswerteste Sorte, aber dafür BIO und in einer Dose. Dazu musste man ein Schälchen und einen Besen erwerben. Mein Bruder hat dann das Pulver mit Wasser in die Schale befördert und sich als Schaumschläger betätigt. Das Resultat sah aus, wie es der Name Matcha erwarten ließ, und der Tee entpuppte sich als eine äußerst bittere Angelegenheit. Ich habe hinterher mehrere Honigbonbons lutschen müssen, um den Geschmack wieder loszuwerden. Heinrichs Ausführungen über dieses so gesunde Getränk habe ich allerdings keine Beachtung mehr geschenkt. Also wenn schon Tee, dann bitte schwarz und ohne exotische Zusätze, wie Mango, Ananas, Papaya oder Schokolade und Chili. 

Als ich dann noch erfuhr, dass dieser Chili-Schokoladen-Tee ein Geschenk von Lisa war, fiel mir gar nichts mehr ein. Lisa ist Caras Freundin, der ich mal im Garten bei der Beerenernte und beim Marmeladekochen geholfen habe. Von ihr hätte ich diesen Schnickschnack am wenigsten erwartet. Aber auch sie scheint sich zu verändern. In diesem Jahr hat sie an einige ihrer Marmeladen Rum oder Whiskey gegeben. Das verkauft sich wohl besser. Morgens ein Toastbrot mit solch einer Marmelade mit Schuss und schon kann der Mensch viel entspannter seiner öden Arbeit nachgehen. Ich weiß zwar nicht, ob das der richtige Weg aus der Freudlosigkeit ist, aber ich bin ja auch nur ein Bär.   

Da gefiel mir ein Spot besser, der vor einigen Jahren im Fernsehen lief und in dem eine schlanke Frau fröhlich tanzte und sang „Ich will so bleiben, wie ich bin“ und sie als göttliche Antwort erhielt „du darfst!“. Das war nach meinem Geschmack. Und an ihrer Fröhlichkeit konnte man erkennen, dass das wohl ein guter Weg war. 

Nun hatte ich mich gestern nach dem schönen Spaziergang doch ziemlich aufgeregt. Mag ja sein, dass der Herbst auch seine schönen Tage hat, der gestrige gehörte für mich jedenfalls noch nicht dazu.