Donnerstag, 29. August 2013

Heinrichs Reisebericht – Teil 1: Essen


Heinrich erzählt und ich lausche
Mein Bruder ist wieder da und hat natürlich viel zu berichten. Also bin ich jetzt ganz Ohr bei seinen abenteuerlichen Erlebnissen. Ja, ich kann auch mal schweigen und aufmerksam zuhören. Das ist nicht jedermanns Sache, das weiß ich wohl. Außerdem bin ich auch neugierig, wie es um die Harmonie zwischen ihm und Gina bestellt war und ob er immer noch von der Provence begeistert ist.

Um es gleich vorwegzunehmen, Marseille gefiel ihm nicht so gut, da waren sie viel zu Fuß unterwegs. Das fällt Heinrich ebenso schwer wie mir und kann ihm schon mal die gute Reiselaune verderben. Doch als es dann im klimatisierten Mietwagen nach Aix-en-Provence ging, war die Welt für ihn wieder in Ordnung. Er hat dort auch gleich eine große Schachtel Calissons für mich gekauft, weil ich die so gern mag. Und nun ist auch für mich die Welt wieder in Ordnung. Mein Bruder, er vergisst mich nicht!!! 

Am meisten war er vom französischen Essen fasziniert. Ich glaube, er ist ein echter Gourmet geworden, Cara meint, eher ein Gourmand. Jetzt möchte er hier morgens auch immer lockere, knusprige Croissants zum Frühstück. Im Urlaub hat er davon stets zwei bekommen. Gina hat auf ihres verzichtet und nur an einem Stück Baguette geknabbert. Mittags gab es natürlich auch was Feines, denn solch ein Frühstück hält ja nicht ewig vor. Und wer Heinrich kennt, der weiß, abends hat er Hunger, und zwar einen Bärenhunger. Da war es manchmal nicht so harmonisch mit Gina. Sie wollte eigentlich am Abend gar nichts essen, weil sie auf ihre Figur achtet. Doch da hat Heinrich gebettelt und sie nachgegeben. Also, ging es wieder in ein Restaurant.

Am dritten Abend spielte sich dann Folgendes ab. Man aß in einem wunderschönen Gartenlokal. Gina bestellte sich wie immer einen kleinen Salat und erntete vom Kellner, den man in Frankreich Garçon nennt, die Frage: „C’est tout, Madame ? Vous êtes sûre ?“[1] Gina, die ohnehin schon nicht bester Stimmung war, antwortete einsilbig: „Oui“. Daraufhin  machte der Kellner einen braven Diener und sagte: „Comme vous voulez, Madame“[2], verdrehte die Augen und rauschte ab. Heinrich dagegen aß immer ein Menü, drei Gänge mindestens, meistens vier, wie auch an diesem Abend. Erst einmal machte er sich genüsslich über die Hasenterrine nach Art des Hauses her, indem er – ganz Bär von Welt – nach französischer Manier Baguette abbrach, wobei Teile der Kruste absplitterten und sich munter über den ganzen Tisch verteilten. Nach einem Weilchen wurde ihm das Omelette à la ratatouille serviert. Heinrich liebt nämlich diesen typisch provenzalischen Gemüsemix, weil er so schön bunt ist. Und wie es seine Art ist, hat er jeden Bissen kommentiert, während Gina scheinbar gelangweilt stur in die Ferne blickte und darauf wartete, dass das Schauspiel ein Ende fand. Doch nach dem Hauptgang gab es noch eine Käseplatte, von der sich Heinrich reichlich bediente. Gina schluckte schwer, als er den Banon auf ein Stück Baguette strich, vor Verzückung die Augen schloss und seufzte: „Oh Mann, oh Mann, ist der gut!“ Unter uns, den Spruch hat er aus der Werbung. Die Augen hätte er aber besser offen gehalten, denn wie von Zauberhand waren der Brie und der Comté von seinem Teller verschwunden. Heinrich guckte verdutzt, erst auf den Teller, dann in die Runde, während sich Gina zu ihrer großen Tasche herunterbückte, um nach ihrem iPhone zu suchen. Als sie wieder auftauchte, winkte sie noch mal den Garçon heran, bat um die Karte und orderte für sich: „Une tarte aux pommes, les profiteroles au chocolat et deux boules de glace avec des fruits, s’il vous plaît.“[3]. Der Kellner feixte und fragte zur Sicherheit: „C’est tout, Madame ? Vous êtes sûre ?“ Eine Antwort wartete er aber nicht mehr ab. Nur Heinrich meinte: „Oh, und in meinem Menü ist nur eine klitzekleine Kugel Eis enthalten. Na ja, ich bin eben bescheiden.“


[1] „Ist das alles, Madame? Sind Sie ganz sicher?“ 
[2] „Ganz wie Sie möchten, Madame.“
[3]
„Ein Stück Apfelkuchen, Schokoladen-Eclairs und zwei Kugeln Eis mit Früchten, bitte.“

Freitag, 23. August 2013

Zottel fährt U-Bahn


Heute muss ich mich nicht verstecken
Vor drei Tagen kam Gina vorbei. Das ist die Kreative unter Caras Freundinnen. Sie brachte ihre Wohnungsschlüssel, damit Cara sich während ihres Urlaubs um die Pflanzen kümmert. Als sie sagte, dass sie nach Marseille und später noch ins Hinterland nach Aix-en-Provence und zu anderen Orten fahren wolle, war es mit Heinrichs Fassung vorbei. Er wollte mit, so unbedingt, als ginge es um sein Leben. Und er durfte auch mit. Ich rief ihm noch schnell hinterher: „Und freue dich schon mal auf den Flohmarkt in Isle-sur-la-Sorgue!“, dabei weiß ich genau, dass Gina niemals über solch einen Markt gehen wird. Der alte Plunder interessiert sie nicht die Bohne. Sie wird nach Saint-Paul-de-Vence fahren und die dort ausgestellte Kunst der Stiftung Maeght bewundern. Doch das kann Heinrich ja selbst herausfinden. Ich bin jetzt schon gespannt, ob sein Herz für Giacometti schlägt.

Nun war mein Bruder gerade mal zwei Tage weg und schon vermisste ich ihn. Das hätte ich nicht gedacht, wo wir doch so verschieden sind. Gestern wurde ich richtig trübsinnig, obwohl die Sonne schien. Als Cara meine Stimmung bemerkte, beschloss sie, mit mir die Stadt zu erkunden. Da sie weiß, dass ich nicht so gut zu Fuß bin, haben wir die U-Bahn genommen. Es war zwar nicht das erste Mal, dass ich mit der U-Bahn fuhr, aber das erste Mal, dass ich nicht als blinder Passagier unterwegs war. Denn zuvor hatte ich mich ja immer heimlich in Caras Tasche versteckt. Ja, ich muss mir hier schon so manche Dinge ertrotzen, sonst komme ich nirgendwohin. 

Nun aber hatte ich erstmals freie Sicht, auch auf die anderen Fahrgäste. Viele hatten richtig schlechte Laune, kein Lächeln auf dem Gesicht, Sorgenfalten auf der Stirn, die Mundwinkel hingen nach unten. Denkt man ja nicht, dass so viele Menschen so großen Kummer haben. Einige gähnten mit offenem Mund, sodass man sehen konnte, dass sie nicht viel Massel beim Zahnarzt hatten. Verwundert war ich, als an einer Station ein Mann mit seinem Fahrrad hereinkam. Er trug einen Helm, wie es sich gehört, und einen farbenfrohen engen Dress, Sonnenbrille über dem angestrengten Blick. Genauso wie die Fahrer bei der Tour de France. Das habe ich nicht verstanden. Die Sonne schien doch und er wollte Sport machen. Nun fuhr er mit der U-Bahn statt mit dem Rad.

Die meisten der Fahrgäste haben mich gar nicht beachtet. Und ich dachte, ich falle ganz bärig auf. Das war schon ein bisschen enttäuschend. Doch sie waren alle sehr beschäftigt, die meisten mit ihrem Smartphone. Ich habe die Fingerfertigkeit sehr bewundert, eine SMS nach der anderen. Das muss man erst mal hinbekommen. Einige haben aber auch telefoniert, manchmal ziemlich laut. Da konnte man schöne Geschichten erfahren. Eine Frau hat mit ihrem Mann geschimpft. Ein paar ihrer Worte kannte ich nicht und wollte sie mir von Cara erklären lassen. Die sagte aber immer nur ganz leise zu mir: „Später, Zottel, später“. Nur zu später kam es dann nicht mehr, denn mit einem Mal hörte ich über den Lautsprecher: „Nächste Haltestelle Eppendorfer Baum. Wenn Sie’s schön haben wollen, dann steigen Sie hier aus.“ Na, da kann man doch nicht nein sagen. Wir also raus aus der Bahn und rein ins Balzac Coffee. Ich habe eine Schokolade getrunken, für Cara gab es eine Latte Caramel. Irgendwie könnte ich mir vorstellen, wenn ich jeden Tag in solch ein Café ginge, würde ich vielleicht auch ein so berühmter Schriftsteller wie Balzac. Nur um dort zu schreiben, bräuchte ich ein iPad oder zumindest ein Netbook. Als ich Cara daran erinnerte, meinte sie, Balzac habe das auch ganz ohne iPad hinbekommen. Bleistift und Kladde reichten da völlig aus. Irgendwie ist sie manchmal von gestern. Damit kann sie mir die ganzen kreativen Ideen vermiesen.

Sonntag, 18. August 2013

Heinrich will weg


Zwei Brüder - zwei Meinungen
Mein Bruder ist ziemlich verwöhnt. Er will weg. Nicht für immer, aber verreisen will er, an einen schönen Ferienort. Er kennt das nicht, dass man im Sommer in der Stadt bleibt. Als Jens, der Junge, bei dem er lebte, noch klein war, verreiste man oft und Heinrich durfte immer mit. Dann ging es mit der Familie nach Italien, Spanien, einmal sogar in die USA. Das war wohl das absolute Highlight für Heinrich, denn er war im Disneyland und hat Mickey Mouse gesehen. Wenn man mich fragt, hat er sich in Daisy Duck verliebt, aber das gibt er natürlich nicht zu. Nun will er da wieder hin. Cara hat dicke Backen gemacht, also eigentlich hat sie wieder Dackelfalten gemacht, wie sie es immer tut, wenn ihr was gegen den Strich geht. Sie hat nun mal nicht das Geld, um mit uns in Urlaub zu fahren. Für mich ist das nicht so schlimm, aber Heinrich ist da mehr Abwechslung gewohnt. Ja, so unterschiedlich können Zwillingsbrüder sein.

Mir gefällt's auf dem Balkon
Ich finde es supertoll auf dem Balkon. Schließlich habe ich ihn nicht umsonst so liebevoll bepflanzt. Heinrich schnuppert ab und zu an den Lavendeltöpfen und sagt: „Na ja, ist ein leichter Vorgeschmack auf eine Reise in die Provence.“ Er hat es noch immer nicht kapiert, dass das in diesem Jahr nichts wird. Er blättert in Reiseführern und faselt von der Zitronenstadt Menton. Was, bitte, will er mit Zitronen, die sind ihm doch viel zu sauer? Dann wiederum möchte er die Ockerfelsen in Roussillon sehen. Da habe ich ihm gleich gesagt, dass er sich das nicht zu romantisch vorstellen soll. Einmal durch die Ockerfelsen gestapft und das Fell an seinen Tatzen ist blutrot, als habe er sich gerade die Ferse abgehackt, wie eine der bösen Schwestern bei Aschenputtel. Das kann er doch nicht wirklich mögen! Doch er bleibt hartnäckig und ich muss mir sagen lassen: „Zottel, du hast ja keine Ahnung, wenn du einmal in Nizza einen Loup de mer oder eine Bouillabaisse gegessen hast, dann vergisst du alles, was du jemals über Lachs gehört hast.“ Was für ein elender Snob, mein Bruder! Ich hoffe nur, mein Freund Fritz liest jetzt diese Zeilen nicht. Er brät mir doch immer diese leckeren Lachsfilets.

Heute regnet es hier in Strömen, Heinrichs Laune ist entsprechend schlecht. Als er vorhin anfing, mir seufzend etwas von dem strahlend blauen Himmel an der Côte d’Azur vorzuschwärmen und von der Sonne, die dort so wohlig auf den Pelz brennt, hat es mir gereicht: „Wenn du nicht gleich mit deinem arroganten Getue aufhörst, weht dir hier drei Tage lang der Mistral um die Ohren, dass dir Hören und Sehen vergeht.“ Für alle, die es nicht wissen, der Mistral ist ein kalter Nordwind, der manchmal in die Provence einfällt und bei Mensch und Tier eine gereizte Stimmung auslöst. Um ehrlich zu sein, das mit der Stimmung klappt hier auch ganz ohne Mistral.  

Donnerstag, 8. August 2013

Die Hundstage und Spiegel-Theorien


Nun war es endlich warm geworden und gleich stöhnten alle und sprachen von den Hundstagen. Ich frage mich, was haben die Hunde mit der Hitze zu tun? Schaue ich vom Balkon herunter auf die Vierbeiner auf der Straße, würde ich nicht behaupten, dass sie Freude an den 30 Grad Wärme  haben. Selbst der quirlige Pudel von gegenüber schleicht lustlos hinter seinem Frauchen her. Wahrscheinlich sind die Hundstage eine ebenso dumme Redensart wie beispielsweise:“ Oh, du bist aber heute mopsfidel!“ Also, ich habe noch nie einen Mops gesehen, der munter umhersprang. Er schnauft sich eher durchs Leben, besonders bei diesen Temperaturen. Und wenn ich an den Corgi aus dem Nachbarhaus denke, der kommt bei der Hitze gar nicht vom Fleck. Ich nenne ihn ohnehin immer die Wurst auf vier Beinen. Wenn Cara das hört, wird sie böse und sagt, jeder habe seine kleinen Schwächen und darüber dürfe man sich nicht lustig machen. Ich solle gefälligst mal in den Spiegel schauen. Das habe ich dann auch getan, konnte aber nur mich erkennen, was ja auch nicht so verwunderlich ist, wenn man eins und eins zusammenzählt.

Doch Spiegel und sich bespiegeln ist bekanntlich Frauensache. Das haben sie wohl aus den Grimmschen Märchen gelernt, wo die böse Königin auch immer in den Spiegel geschaut und gefragt hat: „Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“ Der blöde Spiegel hat auch noch geantwortet. Wenn man mich fragt, hat er dabei ziemlich viel Glück gehabt. Wie ich Caras Freundinnen kenne, hätten die meisten nicht lange gefackelt. Sie hätten bei der Antwort ihrem eigenen Bild den schwersten Cremetiegel ins Gesicht geschleudert. Das hätte dann natürlich Scherben gegeben, aber die bringen ja bekanntlich Glück. Und in dieser Hoffnung hätten sie sich auf der sicheren Seite gewähnt und fest daran geglaubt, dass nun sie und nur sie die Schönste im ganzen Land seien. Außerdem wäre der Spiegel ja auch in tausend Stücke zerfallen und hätte nicht mehr frech antworten können.

Als ich Cara von meiner Spiegel-Theorie erzählte, hat sie einen kleinen Moment überlegt, dann maliziös gegrinst. Ich konnte gar nicht so schnell gucken, wie sie erst in ihr Schlafzimmer und dann die Treppen hinunter lief. Danach schepperte es gewaltig und es fiel eine Klappe, die vom Müllcontainer, und Cara – noch ganz außer Atem– triumphierte: „So, du blöde Waage, das Problem wäre auch gelöst!“